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In vielen Kulturen gibt es eine zentrale Beschäftigung und Verehrung der Ahnen und Vorfahren.
Seien es die nordamerikanischen Indianer, die für wichtige Entscheidungen die Ahnengeister herbeiriefen.
Sei es das Wissen aus chinesischen Quellen, das wir im Feng Shui (die Lehre vom Leben in Harmonie und Wohlstand)wiederfinden, wonach es maßgeblich die Ahnen sind, die uns beschützen und mit Reichtum versorgen.
Die Römer achteten peinlich genau auf die Pflege ihrer Hausaltäre mit kleinen Figuren der Laren (Ahnengeister) und Penaten (Hausgeister), weil sie um deren Bedeutung für das Wohlergehen der ganzen Familie wußten.
Unsere keltischen Vorfahren gingen zu den Gräbern ihrer Vorfahren, um an diesem heiligen Ort mit diesen
zusammen den Jahreswechsel zu feiern. Leider haben die Menschen der Massengesellschaften sowohl ihre Beziehung zu den Vorfahren als oft auch zu ihren Verwandten weitgehend eingebüßt.
Dieses erleben viele, so wie ich, als kulturelle Dekadenz und als empfindlichen Verlust von Beziehungen und von Selbstbezug.
So versuchte ich, wie auch viele andere Ahnen- und Familienforscher, wieder einen Zugang zu unseren Ahnen und Verwandten zu finden, und machte mich auf die Suche nach unseren Wurzeln und einem Teil unserer eigenen Wirklichkeit.
Mich begleitet große Neugier, aber auch ein kleines Unbehagen auf meinem "Weg zurück" auf den Spuren unserer Altvorderen:
Auf welche Verwandten stoße ich, wenn ich in der Geschichte nicht nur Jahrzehnte, sondern Jahrhunderte zurückgehen?
Wer wen, zu welcher Zeit, warum geheiratet hat, woher die Namen Meiners oder Köhn kommen,
lässt sich mit ein bisschen Mühe und professioneller Hilfe noch herausfinden.
Aber wie haben unsere Vorfahren gelebt, wie sah ihr Lebensalltag aus, wie ihr Berufs- und ihr Privatleben?
In welchem Beziehungsgefüge lebten sie, welche Charaktereigenschaften hatten sie,
welche Lebenshaltung war ihnen zueigen? Worin sahen sie ihren persönlichen Lebenssinn und wie richteten sie ihr Leben
danach aus? In welcher lokalen, regionalen, sozialen, politischen und wirtschaftlichen Wirklichkeit waren sie zuhause?
Wie findet man das heraus? Und vor allem: Welche Rückschlüsse kann ich aus alldem für mein eigenes Leben ziehen?
Vielleicht haben schon einige von euch ein wenig Ahnenforschung betrieben,
haben alte Tagebücher gelesen, Briefe auf vergilbtem Papier aus Kartons geborgen,
eine Menge bräunlicher oder farbstichiger Fotografien betrachtet ...
und bei all dem über über Ihr eigenes Leben und das der Vorfahren nachgedacht.
Was wissen wir Kinder und Enkel von unseren Eltern und Großeltern und was wissen all die Jüngeren von uns und unserm Leben? Welche Geschichten und Traditionen gibt es in unserer Familie, die wir gerne bewahren und unseren jüngsten mitteilen würden?
Was steckt an Schicksalen und Geschichten hinter den mageren Geburts- und Sterbedaten,
was waren das für Menschen, die da geheiratet und Kinder in die Welt gesetzt haben? Wie haben sie gelebt, geliebt, gelitten? Waren sie glücklich oder unglücklich? Welche Gedanken und Gefühle haben sie bewegt? Und was davon finde ich in mir wieder, wo entdecke ich mich, meine Eltern, meine Geschwister und Kinder in diesen fernen Gesichtern? War vielleicht schon meine Urururgroßmutter eine so großartige Köchin wie meine Mutter und habe ich das handwerkliche Geschick meines Urgroßvaters geerbt? Ist mein Sohn deswegen so wagemutig und unternehmungslustig, weil schon sein entfernter Vorfahre die Grenzen der damaligen Welt erforscht hat?
All das sind Fragen, die uns bewegen, wenn wir wohl an unsere Vorfahren denken.
Dabei wissen wir oft nicht einmal besonders viel von unseren eigenen Eltern oder Großeltern – außer, dass sie da waren, dass es schön war, mit ihnen Familienfeste wie Weihnachten oder Geburtstage zu feiern, dass wir uns bei ihnen geborgen gefühlt haben – oder dass es schwer war, mit ihnen zu leben, dass man nicht recht warm geworden ist mit ihnen ... dass man eigentlich recht wenig darüber weiß, wie sie selbst als junge Menschen waren und wodurch das Leben sie geformt hat. Wir wollen, dass unsere eigenen Kinder und Kindeskinder einmal mehr von uns und unserem Leben wissen, und wir wünschen uns, dass all das, was an Erinnerungen wie ein ungehobener Schatz in uns schlummert, von kundigen Händen ans Tageslicht gehoben wird. Manchmal erleben wir solche Erinnerungsblitze wie kleine Glücksmomente im Alltag: ein Geruch, der uns an die Zigarre des Großvaters erinnert, eine Stimme, die uns die fröhliche Stimme unserer Lieblingstante ins Gedächtnis ruft – das verrät uns, dass alles immer noch in uns lebt und wie Dornröschen nur darauf wartet, aufgeweckt zu werden.
Vielleicht ist einer von uns der Letzte, der sich noch an die Großtante erinnert,
bei der immer die besonders schönen Feste gefeiert wurden, zu denen damals alle,
aber auch alle angereist kamen. Kennen wir Kinder eigentlich die Geschichte, wie unser Großvater damals die Großmutter kennen lernte? Wissen unsere Kinder oder Enkel noch, dass unsere Familien früher in ganz anderen Gegenden gelebt haben, und viele unserer Eltern in verschiedenen Städten geboren wurden?
Haben Sie unsern Cousinen und Cousins jemals davon erzählt, dass da noch ein Onkel gelebt hat, den wir nie kennen lernen konnten, weil er im Krieg vor Stalingrad fiel?
All diese unerzählten Geschichten, die vom Vergessen bedroht sind, lasst sie uns zwischen zwei Buchdeckeln festhalten, denn es ist ein Quell des Neu- und Wiederentdeckens für alle unsere Familienmitglieder, ein Brunnen, aus dem neue Geschichten sprudeln und der Gesprächsstoff für viele lange Abende ist.
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